Notiz_1
Kurz vor dem schweren Einschlafen kommt sie zu mir.
Schmutzigblonde Haare vor den aschegrauen Augen.
Gekleidet in einem dünnen, weißen Nachthemd.
Füße und Beine, Arme und Schulter nackt.
Sie sieht mich besorgt an, lehnt sich vor.
Komm mit.
Ihre verschwommene Figur folge ich.
Meine Sicht wird klarer dann. Unbefleckt.
Ich bin wieder im Weißen Land. Um mich weiße Erde, weißes
Himmel. Der Schatten einer Bergkette am Horizont. Sie berührt leicht meine
Hand, spielt mit dem Leerraum zwischen den Fingern. Sie lächelt. Meistens
schweigen wir. Manchmal fange ich an zu erzählen.
Die Fenster sind zur Fußgängerzone
gerichtet, doch nachts ist es ruhig. Wir rauchen in der Küche, ich sitze dort
gerne auch alleine und schaue nach draußen. Die Läden machen schon um sieben
zu. Danach bewegen sich nur die Gleditschien und die Betrunkenen. Man hört eine
geladene Stille, als wiederholte die Straße nachts die Worte des Tages, die
halben Sätze, gefallen zwischen den Kacheln. Ansonsten ist nicht viel zu
berichten, die Nächte sind lang. Am Anfang träumte ich viel, jetzt nicht mehr.
Das heißt, ich erinnere mich am nächsten Morgen nicht mehr daran. Wegen der
Erkältung wahrscheinlich.
Wenn Vera spricht, dann hat sie meistens recht. Ihre Stimme hat
immer einen Schatten von einem ausländischen Akzent, gleich welche Sprache sie
spricht.
Mir fehlt
etwas.
Wenn Vera spricht, dann spricht sie über mich als wäre ich sie
und umgekehrt. Sie spricht so, als wären wir Eins. Meistens sind wir es auch.
Mir fehlt die Zeit. Mir fehlt die
Zeit in den Wegen und Gegenständen und Bewegungen meines Alltags. Sie scheinen
mir alle so kahl, so unbedeutend noch.
Das Wunder des Neuen ist
verschwunden.
Wegen der Erkältung wahrscheinlich.
Gesund werden.
Ich sollte gesund werden.
Manches lässt sich leider nicht
beschleunigen. Warten. Ich sollte warten.
Warten lernen.
Vera sieht mich besorgt an. Sie hat mir zugehört, nichts gesagt.
Bis jetzt.
Du solltest Warten lernen.
Wenn Vera spricht, dann hat sie meistens recht.