Wo Vera war_3
Der Frühlingsanfang in München ist ausnahmslos zu spät. Wenn er
endlich ankommt, riecht er nach Zigarettenstummeln und geschmolzenem Schnee und
klagt über den Nahverkehr. Die Münchener denken, der Frühlingsanfang sei hinter
den Alpen geblieben, deshalb verbringen sie die letzten Wintermonate damit,
sich nach Italien zu sehnen. Sie wissen nicht, dass der Frühlingsanfang in
einem der zahllosen Starbucks der Münchener Innenstadt wartet und überlegt, ob
er noch einen Kaffee trinken soll. Dort traf ihn Vera am letzten Samstag des
Monats März. Er saß neben einer Gruppe italienischer Touristen und hörte ihnen
zu, obwohl er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er die Sprache
versteht. Vera kannte ihn kaum, aber sie begrüßte ihn höflich. Auf Italienisch.
Die Touristengruppe wurde misstrauisch. Nach wenigen Minuten wurde er in einer
Konversation verwickelt. Der Frühlingsanfang hasst es, in Konversationen mit
Touristen verwickelt zu werden. Er entschuldigte sich mehrmals und verließ mit
seiner großen Tasche das Lokal. Vermutlich ging er zum nächsten Starbucks. Vera
hatte dagegen einen schönen Platz im hinteren Bereich gefunden, vor dem Fenster
zum kleinen Innenhof. Vera fühlte sich ein wenig einsam. Sie hätte gerne mit
dem Frühlingsanfang gesprochen, aber er war schon lange verschwunden, und Vera
wusste, dass man in München unmöglich ist, sich zu treffen, wenn man sich nicht
verabredet oder man nicht ins Theater geht. Vera entschloss also, am Abend ins
Theater zu gehen. Schon fühlte sich Vera weniger einsam. Sie stand auf und
bestellte einen kleinen Filterkaffee.