Notiz_38 - Immer noch keinen Wasserkocher
Auf dem Weg nach Hause war eine Schrift an der Wand: La mancanza
di… Vor dieser Schrift ist meine Reisetasche kaputtgegangen. Das war vor fünf
Jahren. Genau an dieser Stelle der Zeit sitzen Vera und ich.
Warum ist diese
Zeit so schwer?
Welche Zeit meinst du gerade?
Die jetzige. Die Gegenwart.
Welche Gegenwart?
Deshalb ist es schwer, durch die Zeiten zu springen.
Die Gegenwart. Der graue Sonntag, an
dem wir sprechen. Ich sitze am runden Tisch und draußen ist die Wiese grün,
gelb und grau, der Himmel beweglich weiß, ich trage meinen Morgenmantel, trinke
Kaffee, rauche manchmal. Ich wurde heute von einem Traum aufgeweckt. Oder von
meinem eigenen Husten. Ich fühle mich ein wenig krank.
Du
hast immer noch keinen Wasserkocher.
Ich hätte gerne einen Wasserkocher.
Tee
hast du auch nicht, nur kalten Kaffee von gestern.
Es ist noch ein Schluck da.
Wenn
du mehr Zeit hättest, hättest du mehr Zeit, um aus der Zeit zu flüchten.
Wohin aber?
Mein fünf-Jahre-jüngeres Ich flucht. Seine Reisetasche ist
kaputtgegangen vor der Schrift an der Wand. La mancanza di…
Wenn alles aufhören würde ein paar
Tage lang. Dann hätte ich Zeit, diese Zeit nochmal zu überdenken.
Wozu?
Mein fünf-Jahre-jüngeres Ich umarmt seine kaputte Reisetasche
und geht mit müden Schritten weiter. Um die Ecke sehe ich ein weiteres fünf-Jahre-jüngeres
Ich mit seiner noch nicht kaputten Reisetasche näher kommen.
Wenn alles schon passiert ist, warum
muss es nochmal passieren? Die Einzigartigkeit der Gegenwart ist schon schwer
genug, warum muss sich die Vergangenheit noch wiederholen dazu?
Vielleicht
solltest du dich hinlegen und ein bisschen lesen.
Vera ist ungeduldig. Zu Recht. Ich bin unerträglich langsam,
selbst wenn ich nichts tue.
Was machst du
eigentlich gerade?
Ich denke deine Geschichten weiter.
Tatsächlich hat Vera einen weißen Notizblock in der Hand. Darin
zeichnet sie Handlungen und undetaillierte Porträts von Hauptfiguren einer
Geschichte, die ich noch nicht geschrieben habe.
Danke dafür.
Nincs mit.