- SZ - Alles Oké



            Vera bitte hilf mir. Ich kann es nicht.
Vera setzt sich neben mir, sie schenkt mir ein Glas Wein ein. Sie schenkt sich auch selbst ein. Sie kennt mich ja gut genug.
            Ich höre zu.
           
Ich weiß nicht, wie ich Anfangen soll,
Am Ende der Tage, wenn die Nacht
Schon hereinbricht und ihre Last setzt
Auf meinen Augen. Alles scheint so sinnlos,
Morgen habe ich einen Termin beim Zahnarzt,
Morgen fahre ich nach München wieder,
Werde abgeholt am Bahnhof oder auch nicht.
Ich habe geweint heute, mehrmals, jedesmal
Nicht mehr als zwei Tränen. Jetzt
Habe ich Kopfweh. Doch das kann
Auch der Wein sein, wahrscheinlich
Ist es der Wein. Neben dem Schmerzen
Sitzen in meinem Kopf die Worte
Von Greta Thunberg WE HAVE
TO AKNOWLEDGE THAT
WE HAVE FAILED ich
Weiß es, spüre es, ich
Bin gescheitert.
Die Umstände waren nicht leicht,
Muss man sagen, es ist praktisch
Unmöglich, das Richtige zu tun,
Schon vor zwei Jahren ist mir das aufgefallen,
Als ich den Sommer mit Warten in Cafés verbrachte
Und mit dem Schrecken vor der Tatsache, dass
jedes Stück Ruhe Geld kostet in München,
Sogar die Liebe ist teuer heutzutage.
Zwei Jahre später hat sich mein Scheitern
Nur noch vermehrt. Nicht nur kann ich
Das Richtige nicht tun, jetzt weiß ich auch,
Dass ich die Kraft nicht habe, darüber
Hinwegzusehen. Die zwei gebuchten
Flugtickets in meinem Posteingang sind
Teilnehmerurkunden am Schuldigsein.
Fünfhundertfünfzig Kilos CO2 hin,
Vierhundert zurück, wem es zu abstrakt klingt
Möge sich vorstellen eine Tonne Luft auf seiner
Brust beim Aufwachen, mit welcher Stimme
Würde man dann schreien. Ich wäre
Gerne ein Arschloch, aber das bin ich nicht.
Nur wenige sind es, es zu versuchen ist peinlich.
Ich bin gescheitert. Ich weiß es. Mit mir trage ich
Die doppelte Last. Und mein Geschreibsel, das
Abends oder morgens mithilfe von Wein oder Kaffee
Versucht, mich einigermaßen am Leben zu halten,
Was hilft es. Was bewirkt es. Was ändern die paar Worte,
Am Ende eines weiteren Tages, wo zweihundert Lebensarten
Ausgestorben sind, weil wir ein bisschen früher hinwollten
Von A nach B. Ich sehe es schon in deinen Augen, Vera,
Du willst mir sagen, beruhige dich, es ist alles gut, alles
Ist oké, aber nein, Vera, nichts ist oké. Wo bleibt
Der Aufschrei, der mir im Halse steckt. Wie kann
Ich mich selbst im Spiegel blicken, meine Zähne
Schwarz vom Rauch. Die Versicherung zahlt
Den Zahnarzt, ist es nicht schön. Und warum,
Warum, Vera, stehen keine Barrikaden vor meiner Tür.
Bin ich der Einzige, der Angst hat. Angst vor den nächsten
Fünfzig oder eher zwanzig Jahren, Angst vor den Augen
Der Kinder, die mich irgendwann anschauen werden und fragen,
Was hast du gemacht damals. Jede Sekunde meines Lebens
Ist eine Sekunde weniger im Leben meines Kindes.
Hängt euch den Spruch an den Wänden. Dann versucht
Wieder Fleisch zu essen, Milch zu trinken, gemütlich
Durch die Straßen mit dem Dieselauto zu fahren.

Vera schenkt mir ein neues Glas ein. Sie schenkt sich bereits den Vierten. Doch ich sehe in ihrem Blick, dass ich zu weit ausgeholt habe. Ich sollte mich besinnen. Mich auf das Nötigste einschränken.

            Ja, und Greta Thunberg. Die Frau macht mich fertig.
            Jegliche gelebte oder vorgestellte Liebesgeschichte
Ist ein Schnitt beim Brotschneiden im Vergleich.
Die Wahrheit tut weh. Das sagt man so auf Deutsch.
Die Wahrheit tut weh. Was soll das heißen. Auf gut
Deutsch gesagt, die Wahrheit ist ein Panzer vor der Tür,
Sie klingelt dreimal, dann schießt sie. Wenn man die Tür
Öffnet, dann schießt sie sofort. Das ist die Wahrheit.
Die Wahrheit ist, dass wir uns mit Nichtigkeiten
Beschäftigen und umgeben, während die Hälfte
Der Welt stirbt, und die andere Hälfte sich das gut
Gehen lässt, bis sie an die Reihe kommt, was früh
Genug passieren wird. Die Wahrheit ist, dass keiner
Diese Verantwortung tragen wird außer uns. Weil
Politiker reden und reden und reden und reden und
Brauchen drei Autos und ein Privatjet um zu Besuch
Zu einem ehemaligen doch zu größtenteils jetzt noch
Kolonisierten Land zu gehen. Oder zum Bäcker kurz.
Die Wahrheit ist, dass alles, was uns in diesem Augenblick
Beschäftigt, vollkommen sinnlos und klein und lächerlich ist.
Außer wir beschäftigen uns mit der Umweltkrise. Oder
Mit der Flüchtlingskrise. Oder mit dem Entwurf einer
Alternative zum System, das uns hierhin gebracht hat.
Der Rest ist nebensächlich. Nein. Der Rest ist nicht mal
Nebensächlich, der Rest ist eine Fußnote zur Fußnote
Zu was die künftigen Generationen über uns schreiben
Werden, falls sie noch schreiben werden können und
Falls noch Papier übrig bleibt, was eher unwahrscheinlich
Ist. Also reißt euch zusammen. Ich meine nur.

Noch ein Glas. Bei Vera zahle ich schon lange nicht mehr, ich bin nämlich nicht mehr wirklich in der Lage dazu. Ihr Blick ist gesenkt.
            Komm, gehen wir eine Rauchen.
Eine Weile lang schweigen wir. Dann spricht Vera, während sie die Decke über ihren Hals zieht.
Ich denke, ich habe noch nicht ganz verstanden, worauf du hinauswillst. Ich verstehe, was du meinst. Was auf dich lastet. Aber was nun?
Ich schweige eine Weile lang.
            Nun gehen wir rein. Es ist kalt.
Wir gehen wieder rein. Wir wollen beide weiterrauchen, also rauchen wir drin. Was soll’s.

            Die Wahrheit ist, dass die Wahrheit ist,
            Dass Greta Thunberg schon alles gesagt hat,
            Was noch zu sagen ist. Und keine Kunst
            Verdient es, das nochmal zu sagen. Die Wahrheit
Ist, dass ich schlecht schreibe, weil was ich schreibe
Immer noch mit Schönheitskriterien beurteilt werden kann.
Und die Wahrheit kann man damit nicht beurteilen. Esterházy
Schrieb es so, während er von Speicheldrüsenkrebst langsam
Starb ES GIBT TAUSENDE SITUATIONEN IN DENEN
DIE SCHÖNHEIT… ES GEHT NICHT DARUM DASS
ES SIE NICHT GIBT SONDERN DASS SIE
BEDEUTUNGSLOS IST NUR EINE ART
VERGNÜGEN FÜR HOHE HERREN
UND DAMEN und es geht darum, dass
Jedes Wort sinnlos ist, wenn keine Taten
Dem Wort folgen. Und es geht darum, dass
Die Zeit ausgeht, und ich sitze immer noch
Hier am runden Tisch und versuche was Kluges
Auf dem virtuellen Papier zu schreiben und die Welt
Dreht sich weiter, dessen unbeachtet. Und natürlich
Geht es auch darum, dass ich hundeeinsam bin. Sonst
Könnte ich vor diesen Gedanken flüchten. Aber ich
Kann es nicht. Das ist mein Fluch und Segen. Darum
Geht es, dass ich Geld brauche zum Leben und
Alles, was kostet, nicht mir gehört, sondern
Dem… Welches Wort auswählen, das nicht
Pathetisch klingt. Dann lieber gar kein Wort.
Alles, was kostet, interessiert mich nicht.
Und doch bin ich auf dem Geld angewiesen.
Darauf wollte ich hinaus. Schlechte Kunst
Stört mich genauso wie eine entgegengesetzte Meinung.
Und man sollte graben und graben um herauszufinden,
Was daran meiner Meinung nach falsch ist oder
Was mich daran stört. Das bin ich bereit zu tun,
Wenn es um Politik geht. Aber nicht, wenn es um Kunst
Geht. Weil der Boden so unwirklich, so fragil ist, einerseits,
Andererseits weil ich einfach keine Geduld dafür habe.
Aber nicht darüber wollte ich sprechen. Eigentlich
Will ich mit jedem Text dasselbe sagen, und zwar
Mir geht es nicht gut und wenn ihr im Spiegel euch
Ein bisschen länger anguckt geht es euch auch
Nicht gut und gerne würde ich etwas mit euch tun,
Um unsere gemeinsame Lebenslage zu verbessern,
Aber jedesmal, dass ich etwas delegiere, kommt
Es schlecht zurück. Ich sollte alleine kämpfen.
Das Leben sorgt allmählich dafür, dass ich
Meine Bestimmung anerkenne. So sei es.
Beim ersten Schulstreik von Greta Thunberg
War sie die einzige Teilnehmerin. Wir werden
Sitzen an den Treppen eurer Parlamente,
Eurer Regierungsgebäude, bis
Der neue Mensch eintritt.

Vera hebt den Blick. Da weiß ich, dass ich schlafen gehen soll. Morgen habe ich einen Zahnarzttermin.

            Ich weiß, was du denkst. Ich überschätze
Meine Verantwortung. Greta Thunberg sagt
THE BIGGER YOU PLATTFORM THE BIGGER
YOUR RESPONSABILITY und nochmal Tränen,
Wenn ihre Stimme aus den Lautsprecher kommt.
Vielleicht habe ich keine große Plattform. Nein,
Sicherlich habe ich sie nicht. Und doch fühle
Ich mich wirklich schlecht, die Wahrheit tut weh,
Und weine jedesmal, dass Greta Thunbergs
Stimme aus den Lautsprechern klingt
I DON’T WANT YOUR HOPE
I DON’T WANT YOU TO BE HOPEFUL
I WANT YOU TO PANIC
I WANT YOU TO FEEL THE FEAR I FEEL EVERYDAY
AND THEN I WANT YOU TO ACT
AS YOU WOULD IN A CRISIS
I WANT YOU TO ACT
AS IF YOUR HOUSE
WAS ON FIRE
BECAUSE IT IS

Vera weint. Sie streckt ihre Hand aus, langsam, bis die Finger meine Stirn berühren. Jetzt weiß ich, ich soll schlafen gehen.